
UA „Voice Killer“ – Tödliches Opernpsychogramm über die Abgründe unserer Gesellschaft
Das MusikTheater an der Wien wartet im Juni mit einer außergewöhnlichen Uraufführung (13. Juni 2025) auf: „Voice Killer“ von Miroslav Srnka geht auf die wahre Geschichte eines Serienkillers zurück, hält dabei aber unserer Gesellschaft den Spiegel vor und stellt die grundsätzliche Frage, ob wir blind und taub sind bei Fragen der psychischen Gesundheit.
Miroslav Srnka legt in seiner neuen Oper „Voice Killer“ den Finger in die Wunden der heutigen Gesellschaft – mit all ihren Krankheitsbildern, Traumata, Leerstellen, Versäumnissen und Hilflosigkeiten. Als Projektionsfläche wählten er und sein Librettist Tom Holloway dafür die historisch dokumentierte Geschichteeines schizophrenen Serienmörders , der 1942 in Melbourne drei Frauen erwürgte, bevor er seiner Taten überführt und zum Tode verurteilt wurde. Die Kriminalliteratur hat dem Täter den Namen „Brownout Strangler“ gegeben: Der in der australischen Metropole stationierte US-Soldat Eddie Leonski – dessen Name in der rund 100-minütgen Oper übrigens kein einziges Mal genannt wird – gab bei den anschließenden Befragungen als Grund für seine Taten an, er sei von Frauenstimmen, insbesondere beim Singen, derart fasziniert, dass er die drei Opfer erwürgt habe, „um an ihre Stimmen zu kommen“. Die psychologischen Untersuchungen brachten zutage, dass er, aufgewachsen in einer dysfunktionalen Familie, von der Stimme seiner Mutter, die ihm mit dem Vorsingen von Kinderliedern kurze Momente von Geborgenheit vermittelt hatte, besessen war und diese vergeblich bei Frauen suchte, denen er zufällig begegnete.
Die menschliche (Gesangs-)Stimme als Auslöser eines realen Dramas von höchster Tragik – ein inhärent urmusikalischer Plot also, der quasi nach einer Darstellung auf der Opernbühne schreit. Für Miroslav Srnka spiegelt sich darin zusätzlich ein fundamentales hochaktuelles Phänomen unserer Zeit: „Psychische Probleme nehmen in einem Tempo zu, mit dem die Unterstützung nicht Schritt halten kann, Aggression und Gewalt scheinen immer nur einen Klick entfernt zu sein. Unsere Gesellschaft ist gefühllos geworden, unfähig, etwas dagegen zu unternehmen, und versäumt es, diejenigen zu schützen, die in Not sind, indem sie die Warnzeichen ignoriert, die schon seit Langem deutlich und präsent sind.“
Der Komponist
Der gebürtige Prager Miroslav Srnka zählt zu den innovativsten Köpfen der zeitgenössischen Musikproduktion und unterrichtet seit 2019 Komposition an der Hochschule für Musik und Tanz Köln. Zu seinen Lehrern während des Studiums, das er in Prag, Berlin und Paris absolvierte, zählten u.a. Milan Slavický, Ivan Fedele und Philippe Manoury. Dennoch werde er als „tschechischer Komponist“ wahrgenommen, was ihn irritiert: „In der zeitgenössischen Musik sind die Schulen nicht mehr national. Wie kann Europa politisch klappen, wenn uns in so vielen Zusammenhängen zuerst die Unterschiede der Länder einfallen? Und was bedeutet dieses dramaturgische Grundpattern für gesellschaftliche Zusammenhänge?“
Sein Durchbruch als Opernkomponist gelang Srnka 2016 mit „Southpole“ an der Bayerischen Staatsoper („Ein großer Wurf“, titelte die Frankfurter Rundschau) – übrigens ebenfalls ein historisch verbriefter Plot über die konkurrierenden Südpolexpeditionen von 1910/12. Es folgte die Oper „Singularity. A Space opera for young voices“ (2021) mit Gedankenspielen über computerisierte Menschen, Updates, menschliche und technische Fehlfunktionen. Bei all diesen Bühnenwerken (sowie bei „Make No Noise“) arbeitete er mit dem Librettisten Tom Holloway zusammen, der zu den führenden Dramatikern Australiens zählt. Dies alles sind Stoffe von sozialgesellschaftlicher Relevanz, Srnka sucht und findet für das moderne Musiktheater den unmittelbaren Lebensweltbezug: „Ich bin ein politischer Mensch, aber nicht primär politischer Künstler. Ich versuche, Werte zu eruieren in meinen Werken. Paradoxerweise bin ich politisch geworden durch meine Kammeroper ‚Make No Noise‘ (2011). Da sind Flüchtlinge Thema, aber die Oper wurde vor der Krise geschrieben. Aber so kann man politisch sein: Kein Anspringen auf gerade jetzt populäre Themen, das bringt wenig. Aber wir müssen Themen erforschen, in denen wir gesellschaftliche Defizite sehen. Ob wir dann gerade aktuell sind oder nicht, sollte zweitrangig sein, sonst ist es nur leer, plakativ und ohne Wirkung.“
Das Bühnengeschehen
Und nun also die Oper „Voice Killer“, bei der die menschliche Stimme im Mittelpunkt steht – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Der Täter, selbst Opfer einer misslungenen familiär-gesellschaftlichen Sozialisation, bleibt mit dem Bühnennamen „Private“ konsequent namenlos und ist durch das Kippen ins Falsett und ein unkontrolliertes, giggelndes Lachen als Außenseiter „gebrandmarkt“: „Die tiefe Baritonstimme ist das, was die Gesellschaft von einem Mann erwartet. Die hohe Stimme des Falsetts, das Andere an ihm, ist das, was als befremdlich abgelehnt wird“, erläutert Srnka. Zugleich nähert sich der Täter so den in (teils „stratosphärisch“) hoher Lage angelegten Solopartien der Frauen, sprich seinen drei Opfern Pauline, Ivy und Gladys, stimmlich an. Jede von ihnen lernt der Zuschauer zunächst persönlich kennen, lange bevor sie ihren Mörder treffen: „Wir sehen ihre Familien, ihre Interessen, ihre Schwächen, ihre Ängste und ihre Träume. Wir sehen, wie sie ihr eigenes Leben leben“, so Srnka. Nacheinander werden drei verschiedene Empfindungs- und Gedankenwelten der Frauen sowie die des Täters gezeichnet, bevor es jeweils zum tödlichen Kennenlernen kommt, zu dessen Beginn eine jede singt … Beide Seiten entstammen dabei der Mitte der (unserer) Gesellschaft, die durch den bis zu 24-stimmig gesetzten Chor repräsentiert ist – ebenso wie Gallo, der beste Freund von Private, der stellvertretend für alle die zentralen Fragen nach der individuellen Wahrnehmung von Unrecht (Ist Schizophrenie schuldfähig?) und der gesellschaftlichen Verantwortung (Wo schauen wir nicht genau hin?) stellt.
Strukturell zeigt „Voice Killer“ also eine (klassische) Dreiteilung, dafür aber keine Zeit-Ort-Kontinuität: Es verschmelzen Realitäts- und Traumebenen, die Szenenübergänge – in diesen geschehen die Morde – sind als „ständiger Verlauf von zeitloser Ordnung in zeitloses Rauschen“ gestaltet (Kai Weßler). Das Ziel dieser Zeitspirale ist der dritte Mord, in dem alles kulminiert: Tat, Verhaftung, Urteil und Vollstreckung. Und doch steht am Ende der Oper nicht der Täter im Fokus, sondern die weiblichen Opfer, die nicht verstummt sind, sondern sich vielmehr verwandelt zurückmelden als „diejenigen, die überlebt haben, diejenigen, die sich zu Wort gemeldet haben, diejenigen, die schließlich den Mörder gefasst haben“, so der Komponist.
Die Besetzung
Die zweigesichtige Partie des Private gestaltet bei der Wiener Uraufführung der US-amerikanische Bassbariton Seth Carico (Opera News: „kraftvoll in Stimme und Auftreten“), dem aufgrund einer gesonderten Schauspielausbildung außergewöhnliche Sensibilität in der Gestaltung psychologisch komplexer Rollen bescheinigt wird. Die Rollen der drei Frauen übernehmen die norwegische Koloratursopranistin Caroline Wettergreen (Ivy), die US-Amerikanerin Holly Flack (Pauline) und die gebürtige Chemnitzerin Nadja Stefanoff (Gladys). Die Inszenierung verantwortet mit Cordula Däuper („Sie zeigt, wie Theater funktioniert, wie es gemacht wird, was alles dazu gehört, wie Illusion erzeugt wird, welche theatralen Mittel einer Bühne zur Verfügung stehen“, schrieb Die deutsche Bühne) eine ehemalige Absolventin der Berliner Hochschule für Musik Hanns Eisler. Und die musikalische Leitung liegt in den Händen des Briten Finnegan Downie Dear, der jüngst erst György Kurtágs einzige Oper „Fin de partie“ an der Staatsoper Unter den Linden erfolgreich dirigierte.
Presseinformation als PDF
Veranstaltungsinformation Theater an der Wien