CD-VÖ: Die bayerische kammerphilharmonie setzt Paul Ben-Haim zum 125. Geburstag ein musikalisches Denkmal
Zweigeteiltes Komponistenleben oder: פָּאוּל בֵּן חַיִּים || Paul Ben-Haim Ein gebürtiger Münchner schreibt für Israel Musikgeschichte
Die bayerische kammerphilharmonie schlägt mit ihrer neuen Studioproduktion unter Leitung von Gabriel Adorján ein zentrales Kapitel der jüngeren internationalen Musikgeschichte auf. Beim Label CAvi-music erscheint in Kooperation mit dem BR ein Album mit Orchesterwerken von Paul Ben-Haim am 1. Juli, das dem Begründer des israelischen Nationalstils zu dessen 125. Geburtstag mehr als nur ein überfälliges Denkmal setzt. Das Augsburger Spitzenensemble wird damit zum Botschafter eines zu Unrecht vergessenen Repertoires sowie einer durch politische Zeitenwenden dramatisch beeinflussten Künstlerkarriere – ein Szenario also mit (immer wieder) aktueller Relevanz.
Der gebürtige Münchner Paul Frankenburger war während der 1920er-Jahre im Begriff, das musikalische Kulturleben Deutschlands in spätromantischer Tradition fortzuführen: Als Komponist zeigte seine Musiksprache in dieser Lebensphase deutliche Anklänge an Hugo Wolf, Gustav Mahler oder Richard Strauss, als Orchesterleiter hatte sich der ehemalige Assistent von Bruno Walter und Hans Knappertsbusch bereits als 1. Kapellmeister des Augsburger Opernorchesters etabliert, wo er bereits 1931 wegen vorgeschobener Sparmaßnahmen entlassen wurde. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 sah er sich zur Emigration nach Palästina gezwungen und ließ sich als nunmehr 36-Jähriger – unter dem Namen Paul Ben-Haim – in Tel Aviv nieder. Dort erfand er sich als Komponist neu – und das nicht etwa über Nacht (Mimi Sheffer: „Er schrieb zunächst vier Jahre lang nicht eine Note“), sondern in einem herausfordernden langjährigen Prozess, der in einer überaus individuellen Tonsprache mündete.
Die bayerische kammerphilharmonie hat auf ihrem neuen Studioalbum vier Orchesterwerke Paul Ben-Haims kombiniert, die dessen Entwicklungsphase von 1947 bis 1962 nachzeichnen – anderthalb Jahrzehnte, in denen er in seiner neuen Heimat größte Anerkennung genoss und u. a. mit dem Israel-Preis für Musik (1957) geehrt wurde. Diese höchste nationale Auszeichnung erhielt er übrigens für „Music for Strings“ (1956), die den Abschluss der neuen CD markiert. Am ersten Pult des Orchesters sitzt der Violinvirtuose Gabriel Adorján, dem zugleich die Gesamtleitung obliegt – ein seit vielen Jahren bestens bewährtes Konzept. Für die (optionalen) Vokalparts in „Three Songs Without Words“ konnte die in Jerusalem geborene Sopranistin Talia Or gewonnen werden – für das Klarinettensolo die Gewinnerin des Deutschen Musikwettbewerbs 2015 und Soloklarinettistin der Augsburger Philharmoniker, Bettina Aust.
Diese CD ist innerhalb der stattlichen Diskografie der bayerischen kammerphilharmonie ein echtes Herzensprojekt: Denn seit der Gründung vor über 30 Jahren widmet sich das Orchester vergessener Musik jüdischer Komponisten und veranstaltet seit etwa anderthalb Jahrzehnten u.a. Konzerte in der Augsburger Synagoge – eben in jener Stadt, wo einst Paul Ben-Haim alias Frankenburger sieben Jahre als Kapellmeister wirkte.
Dank der Förderung durch das Bundesprojekt „NEUSTART KULTUR“ konnten auch zwei Tourneen zum Ben-Haim-Programm (ergänzt durch Mieczyslaw Weinbergs 2. Kammersinfonie) realisiert werden, die dem Publikum diesen außergewöhnlichen Komponisten und sein Kammerorchesterschaffen an ganz besonderen Locations nahebringen werden: im Juli nach dem Start an der Hochschule für Musik und Theater München (Festkonzert zum 125. Geburtstag, 5.7., Schirmherrschaft Charlotte Knobloch) etwa in der Kulturkirche Breitbrunn am Ammersee (6.7.) und im Oktober dann u.a. in den Synagogen von Augsburg (23.10.) und Nürnberg (30.10.).