Lohnende Entdeckung: Mélodies von Louis Durey von Holger Falk

Mit Liedern von Louis Durey setzen Bariton Holger Falk und Liedpianist Steffen Schleiermacher einen eindrucksvollen Schlusspunkt für die preisgekrönte Reihe der Anthologien zur legendären „Groupe des Six“. Bei diesem letzten von insgesamt neun Alben wird einmal mehr offenbar, wie reich das Spektrum der präsentierten Lieder ist – und wie schlüssig und durchdacht das Konzept hinter dieser Reihe: Sie wirft ein neues Licht auf eine spannende Epoche des französischen Kunstliedes.

„Es war der gemeinsame Geist des Aufbruchs – bei nahezu einmütiger Ablehnung Wagner’scher und Debussy’scher Klangwelten –, zugleich die Sehnsucht nach so etwas wie musikalischer Wahrhaftigkeit, die sechs aufstrebende französische Komponisten nach Ende des Ersten Weltkriegs zusammenführte: Georges Auric, Louis Durey, Arthur Honegger, Darius Milhaud, Francis Poulenc und Germaine Tailleferre (als Taillefesse in Paris geboren und einzige Frau in der Künstlergruppe). Theoretischer Mentor dieses als „Groupe des Six“ in die Musikgeschichte eingegangenen Zirkels war der Schriftsteller Jean Cocteau, der als lautstarker Kritiker der Gegenwartskultur neue Kunstprinzipien postulierte: Einfachheit, Klarheit und Natürlichkeit, wobei gerade auch die Musik stärker an der Realität ausgerichtet und „nach menschlicherem Maßstab gebaut sein“ müsse.

Fasziniert von der Musik dieser Epoche, insbesondere von den Liedern der Komponisten der „Groupe des Six“, nahm Holger Falk das ambitionierte Projekt in Angriff, das Liedrepertoire dieser Künstlergruppe und ihres Umfelds auf Tonträger aufzunehmen und im Konzertsaal zu präsentieren. „Die Mélodies und Chansons der ‚Groupe des Six‘ gehören für mich zum Anmutigsten, Humorvollsten und zugleich melancholisch-Schönsten, was das an Tragödien so reiche 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. Die Lieder lassen uns diese Zeit des Aufbruchs in Frankreich zwischen den Kriegen erfühlen und entführen uns in eine Pariser Welt, in der Künstlerinnen und Künstler aus Malerei, Literatur und Musik gemeinsam lebten, schufen und feierten.“

Für die Einspielung der „Mélodies et Chansons“ von Eric Satie, dem Spiritus Rector der Six erhielt er den ECHO Klassik, weitere Auszeichnungen wie den Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik und den Gramophone Editor’s Choice Award bekam er für die Aufnahme der Lieder Hanns Eislers.

Seine Affinität zum französischen Kunstlied reicht weit zurück, wie er selbst erläutert: „Das französische Idiom hat mich schon immer fasziniert. Das hat bei mir eine ganz lange Geschichte, eine kindliche Geschichte: Wenn meine Mutter Radio hörte – damals wurden viele französische Chansons im Radio gesendet –, habe ich immer so ein ‚Fake-Französisch‘ mitgeplappert. Als ich dann bei den Regensburger Domspatzen war, haben wir auch Lieder von Francis Poulenc aufgeführt, und ich fand die Poulenc’sche Harmonik bezaubernd.“

Das neunte und letzte Album in der Reihe mit Liedern der „Groupe des Six“ widmen Holger Falk und Steffen Schleiermacher dem Außenseiter innerhalb der Künstlergruppe: Louis Durey schuf mehr als 120 Kompositionen vom Klavierstück bis zur Oper, ist aber heute weitgehend unbekannt. Er war der Älteste in der Gruppe, „misstraute dem Führungsanspruch von Jean Cocteau grundsätzlich und hielt wenig von der Bürgerschreck-Pose, den die Mitglieder pflegten. Zudem überwarf er sich mit dem musikalischen ‚Übervater‘ Erik Satie, weil er dessen ständige Tiraden gegen Maurice Ravel nicht teilte“, erläutert Steffen Schleiermacher im Booklet zur CD. Als erster französischer Komponist beschäftigte sich Durey intensiv mit der Musik von Arnold Schönberg. Er war bekennender Kommunist und während der deutschen Okkupation Frankreichs in der Résistance aktiv.

Seine Klavierlieder zeugen von großer Expressivität und harmonischem Reichtum, weit entfernt von Cocteaus Ideal einer einfachen Tonsprache. Unter den Texten, die Durey vertonte, finden sich Gedichte von Rilke und Heine und sogar von Ho Chi Minh. Viele seiner Lieder blieben Manuskript und wurden nicht veröffentlicht. Es ist ein großes Glück, diese Kostbarkeiten entdecken und eine Lücke im französischen Liedrepertoire schließen zu können.

Bereits in der Reihe erschienen:
Satie „Mélodies et Chansons“ (2015) | Poulenc „Mélodies sur des poèmes de Guillaume Apollinaire“ (2010) | Poulenc „Mélodies sur des poèmes Paul Eluard et Louise de Vilmorin“ (2013) | Poulenc „Mélodies sur des poèmes des poètes divers“ (2013) | Honegger „Mélodies et Chansons“ (2021) | Milhaud „Mélodies et Chansons“ (2022) | Tailleferre & Milhaud „Mélodies et Chansons“ (2023) | Auric „Mélodies et Chansons“ (2024)

Presseinformation als PDF